Namiko und das Flüstern (German Edition) by Andreas Séché

Namiko und das Flüstern (German Edition) by Andreas Séché

Autor:Andreas Séché [Séché, Andreas]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2017-04-10T16:00:00+00:00


23

»Ich glaube, es fängt an zu regnen«, sagte ich und deutete nach oben in die bleierne Armut eines lichtlosen Himmels.

Namiko und ich waren mit dem Traktor in die Natur hinausgefahren, lagen direkt neben einem kleinen See im hohen Gras und hatten, Hirten gleich, die Wolken beaufsichtigt, die sich wie flockige Schafe über den Himmel geschoben, das Blau aufgefressen und ein graues Nichts hinterlassen hatten, das sich nun immer dunkler färbte.

»Wir sollten das genießen«, schlug Namiko vor. »Regen ist umgekehrte Limonade.«

»Umgekehrte Limonade?«

»Ja. Bei der Limonade hast du eine Flüssigkeit, in der Luft nach oben steigt. Beim Regen ist es Luft, in der Flüssigkeit nach unten sinkt.« Noch während sie sprach, stürzten sich die ersten Regentropfen wie kleine, wütende Kamikazeflieger auf den Boden, wo sie zu Spritzern zerschellten, die wie Wrackteile im Erdreich landeten. Innerhalb weniger Sekunden fiel ein gewaltiger Platzregen vom Himmel, der brausend die Baumkronen durchschlug und die Gräser krumm legte. Schilfhalme gingen in die Knie, und das schwirrende Rauschen von Wasser, das Luft zerreißt, vermischte sich mit dem Beifallssturm handförmiger Blätter in den Bäumen. Die Narben des Erdbodens wurden geflutet, und auf dem See neben uns schienen plötzlich Abertausende unsichtbarer Wesen über das Wasser zu tollen und mit ihren Füßen die Oberfläche aufzurühren. Milchige Dunstschleier erhoben sich aus dem erwärmten Boden wie irritierte Geister, die vom Klopfen des Regens aus dem Schlaf gerissen worden waren. Amorphen Seelen gleich waberten sie zwischen den Gräsern hervor und wurden von der Armee der Regentropfen in Fetzen gerissen. Die Zikaden waren entweder eingeschüchtert verstummt, oder sie kamen mit ihren Geigen nicht gegen das prasselnde Stakkato der Natur an.

Unsere Kleidung war sofort durchnässt und klebte aufdringlich wie ein Duschvorhang am Körper. Feuchte Haarsträhnen hingen wild in Namikos Gesicht, und der nasse Stoff ihres Kleids ließ auf gewissenlose Art durchschimmern, was er eigentlich bedecken sollte. Als ich aufspringen wollte, schubste sie mich laut lachend wieder ins nasse Gras zurück und begann eine wilde Rauferei mit mir, während die Regentropfen so heftig auf uns niederschossen, als seien sie außer sich vor Enttäuschung, dass wir uns nicht von ihnen in die Flucht schlagen ließen.

»Los!«, rief Namiko, sprang auf und boxte nach dem Regen. »Hilf mir, ihn fertig zu machen!«

Lauthals gingen wir zum Angriff über, tobten über die Wiese und schlugen mit rudernden Armen auf den Regen ein, traten jubelnd nach den Tropfen und taten so, als würden wir sie uns mit der flachen Hand zuschlagen wie Tennisbälle. Lachend stampfte Namiko mit den Füßen auf den nassen Untergrund und trat mit wischenden Beinbewegungen Fontänen aus dem Gras. Das Wasser lief in Strömen an uns herab, und jedes Mal, wenn ich auflachte, tränkte ein ganzes Geschwader von Regentropfen meinen Mund.

»Los, wehrt euch!«, feuerte Namiko die Tropfen an, wirbelte herum und stieß schließlich gegen mich. Sie geriet ins Stolpern, und ich fing sie auf.

Als sie meine Arme um ihren nassen Körper spürte, hielt sie plötzlich inne. Sie legte ihre Hände auf meinen Rücken und ihren Kopf an meine Schulter. Ich zog sie an mich heran, drückte mein Gesicht an ihre



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